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E-Mail Interview mit Michael K. Iwoleit

Michael K. Iwoleit wurde 1962 in Düsseldorf geboren und lebt heute in Wuppertal. 1982 machte er das Abitur und absolvierte eine Ausbildung zum Biologisch-technischen Assistenten, danach studierte er einige Semeter Philosophie und Germanistik. Seit 1989 ist er als freiberuflicher Autor, Übersetzer, Kritiker und Herausgeber vor allem im Bereich Science Fiction und phantastische Literatur tätig, daneben arbeitete er als Texter für Werbe- und Industriekunden.
In der Science-Fiction-Szene ist er vor allem für seine Novellen bekannt, für die er zweimal mit dem Kurd Laßwitz Preis und viermal mit dem Deutschen Science Fiction Preis ausgezeichnet wurde, zuletzt 2013 für seine Erzählung “Zur Feier meines Todes”. Er veröffentlichte vier Romane und etwa dreißig Erzählungen, die teilweise ins Englische, Italienische, Spanische, Kroatische und Polnische übersetzt wurden. Er ist Mitbegründer und Mitherausgeber des deutschen Science-Fiction-Magazins Nova und des internationalen Science-Fiction-E-zines InterNova.
Unter anderem übersetzte er Romane von Cory Doctorow, Sean Williams und David Wingrove ins Deutsche. Seit einigen Jahren ist er auch mit Lesungen, als Ambient-Musiker und Veranstalter in der 3D-Internet-Welt Second Life aktiv.

01) Michael, gleich zu Beginn unseres Email-Interviews stelle ich Dir die Frage alle Fragen: wie wurdest Du Science-Fiction Autor?

Das habe ich mich auch oft gefragt: Wie konnte das passieren? Ich schreibe bereits seit meinem elften Lebensjahr. Es war kein bewußter Entschluß, das Schreiben zum Beruf zu machen. Ich habe einfach die erste Gelegenheit ergriffen, die sich dafür bot, und hatte, trotz einer abgeschlossenen Berufsausbildung und einigen Semestern Studium, nie eine besondere Motivation, etwas anders zu machen (außer vielleicht, Musiker zu werden, was ich heute im bescheidenen Rahmen wieder mache). Ursprünglich bin ich über die Weird Fiction und hier besonders Klassiker wie Lovecraft, Blackwood, Bierce und anderen zum Schreiben gekommen. Erst nach der Lektüre der Werke von John Brunner (den ich ein paar Mal persönlich treffen konnte), J.G. Ballard und Philip K. Dick bin ich dann zur Science Fiction umgeschwenkt. Ich fühle mich heute nicht mehr ans Genre gefesselt und bin aufgeschlossen für alle Arten von Literatur und Kunst, aber die Science Fiction wird wohl immer meine literarische Heimat bleiben, weil mich die kreativen Möglichkeiten, vor allem in der kurzen Form, immer aufs Neue faszinieren.

02) Fiel Dir die Entscheidung Autor zu werden leicht?

Nach einigen glücklosen Versuchen davor konnte ich 1989, dank eines Angebots von Heyne, endgültig hauptberuflich in die SF einsteigen. Einige Jahre zuvor hatte ich bereits einige erfahrene SF-Profis kennengelernt, die mich bei meinen ersten Gehversuchen unterstützten, und wußte von daher ungefähr, was auf mich zukommt. Außerdem kannte ich nach zwei Jahren eines zwar krisenfesten, aber unbefriedigenden Jobs an der Düsseldorfer Universität bereits die Frustrationen, die ein “solider” Beruf einem kreativen Geist einbrocken können, deshalb war die Entscheidung, ins unsichere Dasein eines freien Autors einzusteigen, – wie man heute sagen würde – “alternativlos”.
Obwohl ich noch einige der fetten Jahre mitbekommen habe, als es zahlreiche SF-Taschenbuchreihen gab und sich dem SF-Profi Verdienstmöglichkeiten boten, von denen wir heute nur träumen können, war die Sache besonders wirtschaftlich kein Zuckerschlecken. Bereut habe ich es trotzdem nie.

03) Was hat Dich in Deinem beruflichen Leben entscheidend geprägt?

Ich hatte das große Glück, schon Anfang der Achtzigerjahre Ronald M. Hahn und Horst Pukallus kennenzulernen, von denen ich vor allem im Hinblick auf die endlos vielen,
sprachlichen und inhaltlichen Detailprobleme des Schreibens und Übersetzens viel lernen konnte und deren Fleiß und Professionalität mir immer ein Vorbild sein werden. Man kann jedem jüngeren Autor und sonstwie Kreativen nur raten, sich selbst solche erfahrenen Mentoren zu suchen und deren praktischen Kenntnissen für die eigene Arbeit zu adaptieren. Generell glaube ich, daß es sich mit dem Schreiben ähnlich verhält wie mit der Philosophie: Man bleibt ein ewiger Anfänger (es sei denn, man heißt Shakespeare oder James Joyce). Ich bin deshalb weit davon entfernt, mich für einen Meister zu halten, aber als Mit-Herausgeber zweier Magazine bin ich jetzt vielleicht in der Position, die Fackel an jüngere Autoren weiterzureichen, und dabei versuche ich einige Maximen zu vermitteln, die ich selbst Horst und Ronald verdanke:

Suche keine Ausflüchten und Ausreden, befasse Dich mit den Sachen, die Du als Autor wissen mußt, lerne Dein Metier und Dein Medium kennen.

Autoren, die nichts daran finden, daß sie mit Grammatik und Orthographie auf dem Kriegsfuß stehen und sich weder mit der Literatur im Allgemeinen noch der SF im Besonderen auskennen, sind auf dem falschen Dampfer und werden es mit dem Schreiben zu nichts bringen. Leider wollen das heute viele nicht mehr in ihre Köpfe bekommen.

04) Viele Menschen glauben immer noch, das Künstler das Leben eines Bohémiens führen. Wie sieht Dein Arbeitsalltag wirklich aus?

Ganz einfach: Ich stehe um 16:00 Uhr auf, löffel einen Krabbencocktail, den mir meine hochgeschätzte Mitbewohnerin ans Bett bringt, räkel mich für ein Stündchen im Whirlpool, wimmel mit großzügig verteilten Autogrammkarten die Fans und Groupies ab, die sich seit den frühen Morgenstunden vor meiner Jugendstilvilla im Briller Viertel die Füße in den Bauch stehen, poliere meinen Ferrari, den ich mir von den letzten VG-Wort-Tantiemen gegönnt habe, und begebe mich anschließend zum Prosecco-Schlürfen ins Luisenviertel, wo ich bis zum Schlafengehen der große Inspiration harre, die gewöhnlich, aber nicht immer, erst nach dem Abflauen der Trunkenheit eintritt.
Nein, im Ernst: ein typischer Arbeitstag ist das nicht. An dieser Schilderung stimmt lediglich, daß ich manchmal wirklich erst um 16:00 aufstehe, was aber nicht ausschließlich an akuter Arbeitsscheue, sondern noch öfter daran liegt, daß sich meine Aktivitäten mehr und mehr in die Nacht verlagern. Fast alle kreativen Menschen operieren am Rande des Chaos, und wie viele andere versuche ich ebenso hartnäckig wie vergeblich, etwas Struktur und Regelmäßigkeit in meinen Arbeitsalltag zu bringen. In meinem Fall hängt es sicher damit zusammen, daß ich ein ausgesprochener Multitasker bin und mir soviele Ideen und Interessen gleichzeitig durch den Kopf spuken, daß ich selten damit zufrieden bin, mich ausschließlich auf ein laufendes Projekt zu konzentrieren. Manchmal ergeben sich gewisse Schwerpunkte, wie gegenwärtig die Arbeit an neuen Romanen, aber meistens schreibe ich an mehreren Stories und Esssays gleichzeitig, dazu kommen noch die Magazinarbeit und meine Internet-Aktivitäten. Ein gewisses Maß an Parallelarbeit ist unvermeidlich, wenn man bezahlte Jobs mit ehrenamtlichen bzw. unbezahlten Aktivitäten austarieren muß, der Rest aber ist persönliche Unzulänglichkeit oder schierer Wahnsinn.

05) Was ist die treibende Kraft für Deine Werke? Der schöpferische Drang? Die Inspiration?

Auf diese Frage könnte man allerlei erhaben klingende Antworten geben, was Autoren auch gern tun, aber die Wahrheit ist viel banaler. Aus Gründen, die mir wie den meisten Kreativen selbst nicht ganz klar sind, kann sich mein Kopf mit dem passiven Wahrnehmen von Dingen, die ihn reizen und faszinieren – seien es Musik, Literatur, Film, Kunst etc. -, nicht zufriedengeben. Mein Kopf generiert eigene Ideen, die er loswerden und in eigenen Werken verwirklicht sehen will. In meinem Fall ist der Ausgangspunkt oft ein vages Bild, eine Stimmung, eine Atmosphäre, ein sinnlicher Eindruck, der nach und nach Fleisch in Form von konkreten Handlungs- und Backgroundideen ansetzt. Ich verwende viel, manchmal vielleicht zuviel, Zeit darauf, vor dem Auge des Lesers interessante Settings entstehen zu lassen. In dieser Hinsicht sehe ich einige Gemeinsamkeiten mit visuell orientierten Autoren wie Ballard oder Gibson, die weniger daran interessiert sind, wie eine fremde Welt in logischem Sinne funktioniert, sondern wie ihre Aura ist, wie es sich anfühlt, in ihr zu leben.

06) An welchem Projekt arbeitest Du gerade?

Gerade arbeite ich an zwei Romanen parallel, was sich daraus ergeben hat, daß durch eine längere Krankheit und einen ausgedehnten Writer’s Block vieles liegen geblieben ist. Für den kleinen, aber feinen Fabylon-Verlag arbeite ich an einer Romanfassung meiner preisgekrönten Novelle “Der Moloch”, die aber nur einige Elemente der Novelle übernehmen wird und ansonsten vollständig neu ist. Verlegerin Uschi Zietsch, die normalerweise die freundlichste Kollegin in der Szene ist, die man sich nur wünschen kann, sitzt mir gerade mit Peitschenhieben im Nacken, damit ich auch die restlichen 150 Seiten bald abliefere und das Ding noch in diesem Jahr erscheinen kann.
Dem vortrefflichen Harald Giersche, Inhaber des noch kleineren, aber ebenso feinen Begedia Verlags, habe ich versprochen, in diesem Jahr endlich auch meine zum Roman ausgewachsene Novelle “In situ” fertigzustellen, auf die er ungefähr seit der letzten Eiszeit wartet. Diesem Ziel bin ich auf weniger als hundert Seiten nahegekommen.
Wenn das geschafft ist, stehen einige kleine Brot- und Butter-Projekte sowie ein Umbau bzw. Umzug meiner beiden Second-Life-Parzellen und die Vorbereitung neuer Veranstaltungen auf der Warteliste.

07) Der PC ist ein wichtiges Werkzeug für Autoren. Dazu kommt noch das Internet. Diskussionsforen, Webseiten, Blogs und “Datenbanken” wie Wikipedia sind für viele unentbehrlich geworden. Wie stark nutzt Du für Deine Arbeit das Internet?

Mir scheint, daß viele Autoren die Möglichkeiten des Internets noch unzureichend nutzen. Blogs, Foren und selbst die Wikipedia sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Ich habe in jüngster Zeit etwas tiefer gebohrt und war geradezu fassungslos, welche ungeheueren Mengen an Material zur Bildung und Fortbildung, zur Information und Inspiration das Netz anbietet, wenn man sich nur gründlich anschaut. Das fängt schon bei einem populären Portal wie Youtube an, das man anders nutzen kann, als sich den ganzen Tag Talkshowausschnitte und Katzenvideos anzuschauen. Ein SF-Autor kann hier jede Menge Vorträge, Tutorials, Diskussionen und Dokumentationen zu SF-relevanten Themen finden. Noch viel mehr ergibt sich, wenn man unter dem Stichwort “Open Content” recherchiert, hinter dem sich Massen an frei zugänglicher wissenschaftlicher Literatur und universitärem Schulungsmaterial verbergen. Und auch das ist noch nicht alles. Ich wage zu behaupten: wer noch nie einige der Schätze gehoben hat, die sich in Sites wie dem Internet-Archiv, ubuweb oder Vimeo, dem wohl besten Videoportal des Webs, verbergen, der kennt das Internet noch nicht.
Daß ausgerechnet Schriftsteller, die praktisch frei Haus von der Mühe entlastet werden, sich wie in früheren Zeiten für ein paar Informationen durch Bibliotheken wühlen zu müssen, oft wenig bis nichts über solche Angebote wissen, für die sie die Urheber auf Knien lobpreisen müßten, scheint mir ein weiteres Symptom für die unzureichende Erschließung und Darstellung der Welt zu sein, in die wir uns hineinbewegen. Ich selbst nutze solche Quellen in letzter Zeit sehr intensiv, und sie haben meine Kenntnisse und Fähigkeit sehr bereichert.

08) Du betreibst einen eigenen Blog iwoleit.wordpress.com. Wie kam es dazu?

Als einen klassischen Blog würde ich die Seite nicht bezeichnen, obwohl ich dafür eine bekannte Blogsoftware verwende. Es ist in erster Linie eine Autoren-Homepage, die über meine diversen Veröffentlichungen und Aktivitäten informiert. Es ist auf der Seite erst wenige Male vorgekommen, daß ich mich darüber hinausgehend geäußert habe, zuletzt über die kreative Nutzung digitaler Medien, nicht zuletzt Second Life, und über die Renaissance der Kurzgeschichte, die die Nobelpreisverleihung an die Kanadierin Alice Munro herbeiführen könnte. Es ist möglich, daß ich diesen kommentierenden Aspekt meiner Homepage in Zukunft noch etwas ausbauen werde, soweit es meine Zeit zuläßt.

09) Wie ist Deine Meinung zu “sozialen Netzwerken”, wie Facebook, Twitter, StudiVZ, Xing, und dergleichen?

Aus Professionellen-Netzwerken wie Xing, LinkedIn usw. hat sich für mich nie ein besonderer Nutzen ergeben, deshalb bin ich aus den meisten ausgetreten. Auf Facebook war ich einige Jahre aktiv, und man kann dem Netzwerk immerhin zugute halten, daß es ein gute Replikator für Informationen und Nachrichten ist. Der erhebliche Zeitaufwand, um die Facebook-Kontakte zu pflegen, und insbesondere die Versuchung, jeden zu kommentieren, der soziale Netzwerke vor allem zum Herumpöbeln und zum Verbreiten seiner höchst eingeschränkten Weltsicht nutzt, haben mich aber auf Dauer abgestoßen. Ausschlaggebend dafür, meinen Facebook-Account im April dieses Jahres zu kündigen, war dann die Lektüre von Eli Parisers Buch “The Filter Bubble“. Daß Anbieter eines kostenlosen Dienstes Geld verdienen müssen und sich das im Web am besten über Werbung bewerkstelligen läßt, ist mir durchaus einsichtig. Systematisch die privaten Aktivitäten von Millionen Usern auszuspionen, damit Milliarden an der Börse zu verdienen und, weil manche den Hals bekanntlich nie voll bekommen, Daten an die Geheimdienste zu verschachern, ist aber etwas ganz anderes. Facebook ist inzwischen neben Google zu einem der größten Datenkriminellen des Globus aufgestiegen, und solchen Molochen sollte man die Gefolgschaft verweigern. Warum ein Mann wie Edward Snowden, dem man für seinen Mut den Nobelpreis verleihen sollte, verfolgt wird, ein unverschämter Schmarotzer wie Mark Zuckerberg aber hohes Ansehen genießt, ist eine der Absurditäten unserer Zeit, die einen in tiefste Depressionen stürzen können.

10) Wir leben in einer sich immer schneller verändernden Welt. Wie gehst Du mit diesen Veränderungen um?

Ich versuche vor allem, nicht bloß Oberflächenreizen zu erliegen, sondern tiefere Einsichten über die Entwicklungen zu gewinnen, die unsere Welt in immer dramatischerem Tempo verändern. Die Medien- und Netzwerkwelt, die so viel unserer Zeit beansprucht mit ihrer hektischen Jagd auf alles, was hip und new und cool ist, ruht auf dem Fundament einer neuen, von der klassischen humanistischen Bildung deutlich abgesetzten Kultur, die seit einigen Jahrzehnten im Entstehen begriffen und den meisten bloß passiv konsumierenden Internet-Benutzern ebenso wenig bewußt ist wie den traditionellen bildungsbürgerlichen Schichten, die meinen, ein Monopol auf den Begriff “Kultur” zu haben. Diese Kultur ist ein neuartiges Denkgebäude, ein Raum von Ideen und Vorstellungen, zu dem Naturwissenschaftler, Mathematiker, Programmierer, auch einige Künstler und Literaten Beiträge geleistet haben und die in ihrem Gesamtzusammenhang noch gar nicht richtig analysiert worden ist. Über diese – um einen unzureichenden Begriff zu benutzen – Cyberkultur versuche ich möglichst viel herauszubekommen und ihr Anregungen zu entnehmen, die über ein allzu oberflächliches Verständnis der heutigen Welt hinausgehen.
Ein Beispiel für das, was ich meine: Als 2011 Apple-Mitbegründer Steve Jobs verstarb, hat es die Nachricht bis aufs Spiegel-Cover geschafft und die Presse ist in ihren Elogen förmlich übergeschnappt. Kaum irgendwo waren kritische Anmerkungen darüber zu lesen, daß Apple wie Microsoft seine besten Ideen geklaut hat und daß Jobs mit seiner Firma lange Jahre technisch unzureichende Arbeit geleistet und geschäftlich hanebüchene Entscheidungen gefällt hat. Als sieben Tage später Dennis Ritchie starb, war das den meisten Quellen nur eine Randnotiz wert, obwohl Ritchie als Mitentwickler von Unix und C zehnmal wichtiger und einflußreicher war als alle Jobs’, Wozniaks und Gates’ dieser Welt zusammengenommen. Welche Otto-Normal-PC-Benutzer ist sich schon bewußt, daß es ohne Ritchie und Thompson weder das Internet noch die heutige kommerzielle Software gegeben hätte? Dies ist ein Phänomen, das mich befremdet und beunruhigt: völlige Ignoranz und Unbildung gegenüber der Welt, in der wir heute leben. Unser Bildungsapparat ist darauf noch gar nicht eingestellt. Unter Computerkompetenz verstehen Schulen, wenn Kinder lernen, einen Suchbegriff in Google einzugeben oder eine Excel-Tabelle anzulegen. Sie lernen aber so gut wie nichts über die Geschichte und Hintergründe der Welt, in der sie sich für den Rest ihres Lebens zurechtfinden müssen.
Als SF-Autor möchte ich dem Flügel der Science Fiction angehören, der selber Teil der Cyberkultur und Sachkundiger in die sich entfaltende neue Welt eingedrungen ist. Autoren wie Ted Chiang oder Greg Egan haben gezeigt, was die SF in dieser Hinsicht leisten kann.

11) Wenn Du einen Plan für die nächsten, sagen wir vier Jahre hättest, wie würde der in etwa aussehen?

Vier Jahre sind arg knapp für meinen Marshall-Plan. Um einen Überblick meiner Aktivitäten zu bewahren, lege ich gern Listen an, die ich versuche, systematisch abzuarbeiten, in der Hoffnung, daß ich irgendwann am Ende ankomme. Nach einer vorläufigen Hochrechnung wird das Abarbeiten aller gegenwärtig gelisteten Schreibprojekte, Fortbildungsmaßnahmen und Bücher, die ich unbedingt mal lesen sollte, etwa 250 Jahre in Anspruch nehmen, nicht eingerechnet die Ideen, die ich bis dahin haben werde. Ich wie meine Leser müssen also hoffen, daß Ray Kurzweil mit seinen Unsterblichkeitsprognosen wider Erwarten Recht hat, und uns ansonsten mit Geduld wappnen. Es kann für einen Kreativen ratsam sein, keinen allzu realistischen Blick auf das zu werfen, was er mit sich und seinem Leben vorhat.
Bleiben wir aber bei den vier Jahren, so plane ich, in dieser Zeit ungefähr Folgendes zu schaffen: In laufenden Jahr meine beiden aktuellen Romane und die Zusammenstellung eines Essaybandes, für den es bereits einen interessierten Verleger gibt. Danach möchte ich das Exposé eines umfangreichen, mehrbändigen SF-Romans fertigstellen, für den ich jahrelang recherchiert habe, und das Ding in den folgenden beiden Jahren auch schreiben. Danach steht ein historisch-phantastischer Roman an, dem ich zutraue, mir den erhofften Ruhm und Reichtum oder zumindest ein bißchen Aufmerksamkeit außerhalb der SF-Szene einzubringen. Nebenher möchte ich, was ich im letzten Jahr angefangen habe, vermehrt Stories auf Englisch schreiben und international publizieren.

12) Was würdest Du den jungen Menschen raten, die gerade ihr Abitur / Hochschulreife erlangt haben und die vor der Entscheidung stehen ob Sie ein Studium beginnen oder in das Berufsleben einsteigen sollen?

Wenn ich mir ansehe, daß ältere Kollegen, die jahrzehntelang geschuftet haben, sich mühsam bis zur Rente durchschlagen müssen und ich selbst noch nicht weiß, wie ich das Rentenalter lebend erreichen soll, wäre jeder kluge Ratschlag ein Selbstbetrug. Ich kenne talentierte jüngere Kollegen, teilweise mit abgeschlossem Studium, die damit rechnen müssen, sich niemals fest im Berufsleben etablieren und sicher niemals allein eine Familie ernähren zu können. Niemand, der sich mit Ach und Krach über die Vierzig hinaus gehangelt hat, würde gern mit dem Jugendlichen tauschen, die heute vor einer in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes beispielhaften Perspektivlosigkeit stehen. Ich bezweifle, daß es noch eine Branche gibt – außer Politik, Insolvenzverwaltung und Aktienspekulation -, die man Jugendlichen ehrlich als sichere Zukunftsoption empfehlen kann. Wenn nicht bald ein dramatischer Umschwung in der Politik stattfindet, der dazu führt, daß die alte Weisheit “Kinder sind unsere Zukunft” wieder mehr als nur eine Phrase ist, drohen uns Verhältnisse wie in Japan, wo immer mehr Jugendliche unter dem Druck zusammenbrechen und sich in Gewalt und Kriminalität flüchten. Was will man in einer solchen Situation raten? Es mag zynisch klingen, aber mir fällt da nichts Besseres ein als: Mach das, was Dir Spaß macht, auch wenn Du damit rechnen mußt, den Großteil der nächsten dreißig Jahre arm und erwerbslos zu sein – immerhin hast Du dann Deine Zeit nicht mit einem Job vergeudet, der dich anwidert, und Dich nicht von schwachköpfigen Vorgesetzten in die Psychiatrie treiben lassen.

“Da wird es hell in einem Menschenleben, wo man für das Kleinste danken lernt.” Friedrich von Bodelschwingh

13) Wenn Du auf Deine bisherige Karriere zurückblickst, worauf bist Du besonders stolz?

Das ist eine Frage, die mich in Verlegenheit bringt. Ungefähr die Hälfte meiner bisherigen Laufbahn warich ein ziemlich fauler Hund und könnte dem Erreichen meiner Ziele heute bereits sehr viel näher sein, wenn ich in jüngeren Jahren etwas mehr Disziplin aufgebracht hätte. Einige jüngere Kollegen, die nicht die Fleißgene unserer heute 60 bis 70 Jahre alten Vorbilder geerbt haben, plagen sich mit ähnlichen Problemen herum, deshalb brauche ich vielleicht nicht allzu betrübt zu sein. Seit Anfang des neuen Jahrhunderts und insbesondere seit ich für zwei Jahre meinen Arbeitsplatz in einer Werbeagentur aufgeschlagen hatte und termingerechtes Arbeiten und Kaffeetrinken lernte, hat sich zwar manches gebessert, aber aus meiner persönlichen Sicht habe ich noch keinen Anlaß, restlos mit mir zufrieden zu sein und auf irgendetwas besonders stolz zu sein. Aber wenn man dem Urteil einiger berufener und urteilsfähiger Zeitgenossen glauben darf, habe ich einige der besten deutschen SF- Kurzgeschichten und vor allem -Novellen der letzten zehn Jahre geschrieben, wovon vermutlich die Erzählungen in meiner ersten Sammlung “Die letzten Tage der Ewigkeit” am längsten Bestand haben werden. Seit ich mehr als Erzähler hervorgetreten bin, ist ein anderer Teil meines Schaffens, an dem mir einiges liegt, meine literarischen Essays, etwas weniger beachtet werden. Ausgesprochen zufrieden bin ich mit meinen Essays über Carter Scholz, Lucius Shepard und J.G. Ballard, die einige, wie ich hoffe, literaturhistorisch nicht unbedeutende Analysen enthalten.

14) Gibt es einen Traum, den Du Dir erfüllen möchtest?

Wer als Autor behauptet, daß er nicht davon träumt, doch einmal auf den absonderlichen Umwegen, die das Leben zuweilen einschlägt, mit einem Werk auf den Bestsellerlisten zu landen und mehr als ein Anerkennungshonorar einzufahren, ist wohl unaufrichtig. Gegen einen solchen Glücksfall und dem damit verbundenen finanziellen Befreiungsschlag (oder wie es mein Kollege Ronald Hahn ausdrückte: “Wogen von Brot und Beifall”) würde auch ich mich sicher nicht mit Händen und Füßen wehren. Solang es nicht passiert, kann man sich mit einer Lebensweisheit trösten: Paß auf, was Du Dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen. Viele kommerziell erfolgreiche Autoren sind so an eine bestimmte Masche gefesselt, die Leser und Verlage von ihnen erwarten, daß sie ihre kreative Autonomie verloren haben und sich die Unabhängigkeit und Selbsttändigkeit zurück wünschen, die sie als junge und aufstrebende Autoren einmal hatten. Insofern hat ein Dasein als relativ unbekannter und kommerziell unbedeutender Autor auch seine positiven Seiten, die man zu schätzen wissen sollte. Ich werde einfach versuchen, meine Arbeit weiterhin so gut zu machen wie ich kann, und werde es demütig hinnehmen, wenn je eine Woge aus Ruhm und Reichtum auf mich zurollen sollte.
Mein primäres Ziel ist aber, wenigstens all die Ideen zu verwirklichen, die ich heute schon habe. Mit über fünfzig kommt kommt einem langsam die Begrenztheit der eigenen Lebenszeit zu Bewußtsein, und es wird einen Einsatz erfordern, gegen den meine bisherige Laufbahn ein Klacks war, um diese Zeit so zu nutzen, wie ich es mir vorstelle.

15) Zum Abschluss möchte ich Dir eine ganz persönliche Frage stellen: was hast Du vom Leben gelernt?

Eine Antwort auf eine solche Frage kann leicht so pathetisch ausfallen wie die Frage selbst, deshalb bewundere ich Interviewer, die den Mut haben, sie trotzdem zu stellen. Obwohl ich die Fünfzig bereits überschritten habe, ist es mir gelungen, soweit ein Kindskopf zu bleiben, daß ich wohl noch zu jung und zu töricht für definitive Lebensweisheiten bin. Ich versuch’s trotzdem mal provisorisch: Gegen alle Widrigkeiten sich selbst treu zu bleiben, halte ich für eine der wenigen legitimen Quellen von Stolz. Man darf allerdings nicht erwarten, sich mit Beharrlichkeit Achtung zu verdienen, schon gar nicht, dafür mit Erfolg belohnt zu werden. Wir leben in einem Zeitalter des Duckmäusertums und der besinnungslosen Hinnahme dessen, was eine Massen- und Mediengesellschaft einem an Maßstäben und Lügen in die Köpfe pumpt. Anders ist wohl nicht zu erklären, warum die gegenwärtigen Verhältnisse in unserem Land noch nicht zu einer Revolution geführt haben und warum die “mächtigste Frau der Welt” nicht längst im amerikanischen Exil leben muß. Wenn man als Kulturschaffender auch nur einen Hauch dazu beitragen kann, daß sich in dem einen oder anderen Kopf der Funke kritischen Denkens entzündet, hat sich die ganze Mühe bereits gelohnt. Aus der kleinen Nische, in der ich arbeite, werde ich weiterhin versuchen, dazu beizutragen, auch mit dem Gedanken im Hinterkopf, daß an dieser Aufgabe schon viel Größere verzweifelt sind.

 

E-Mail Interview mit dem Musiker Stephen Parsick

Stephen Parsick ist Künstler, seine Ausdrucksform ist die elektronische Musik. 1996 gründete er die Band [´ramp]. 1998 veröffentlichte er sein erstes Solo Album “Traces of the Past”. Im selben Jahr erschien bei Mario Schonwalders Manikin Records das erste [´ramp] Album mit dem Titel “nodular”. Von 1998 bis 2002 arbeitete Parsick mit Klaus Hoffmann-Hoock. Auch spielte er zeitweise in den Bands ‘Cosmic Hoffmann’ und ‘Mind over Matter’.
Stephen Parsick, Jahrgang 1972, hat sich als Musikproduzent und Sound Designer einen Namen gemacht. Sein Musikstil ist als ‘Dark Ambient’ bekannt geworden und sticht aus dem von Plattenfirmen und Medienkonzernen produzierten Einheitsbrei heraus.

Gleich zu Beginn unseres Email-Interviews stelle ich Dir die Frage aller
Fragen: wie kamst Du dazu elektronische Musik zu machen?

Ich habe zum ersten Mal diese Musik gehört, als ich noch in den
Kindergarten ging. Irgendetwas daran hat mich einfach umgehauen, und als
ich das erste Mal Jarres “Oxygene” hörte, wußte ich, daß ich auch sowas
machen wollte. Diese Klänge haben einfach ganz tief in mir eine Saite
berührt, und die hat seither nicht mehr aufgehört, zu schwingen. Später
lernte ich dann die Musik von Klaus Schulze und Tangerine Dream kennen,
und bei Schulze dachte ich das erste Mal “Das kannst Du auch, der spielt
ja genauso schlecht wie Du!” Davor hatte ich nur so Zeug wie Tomita und
Wendy Carlos gehört, die ja diesen ganzen klassischen Kanon rauf- und
runtergespielt haben — und mit klassischer Musik wollte ich nichts zu tun
haben, weil die Formalismen, die ihr zugrunde liegen, meinen Geist viel zu
sehr in eine bestimmte Richtung gezwängt hätten. Gerade diese stilistische
Freiheit, die einem die nicht-akademische elektronische Musik eröffnet,
finde ich sehr spannend und befreiend: Ich muß mich nicht um über
Jahrhunderte hin wie heilige Kühe tradierte Formalismen scheren, sondern
kann einfach die Musik entstehen lassen und womöglich selbst einen Stil
schaffen. Von dieser Warte aus betrachtet finde ich die freiwillige
stilistische Einengung, die heute viele Macher von EM auf sich nehmen,
völlig kontraproduktiv und im Grunde sogar schädlich für den
Ursprungsgedanken — da ist endlich eine Musik, die einem alle Freiheiten
gibt, und sie tauschen diese Freiheit aus Mangel an Disziplin oder Angst
vor eben der Freiheit gegen eine formale Einengung ein. Das hat mehr etwas
von Anbiederei an andere Stile und Szenen als vom Finden einer eigenen
Ausdrucksform.

Stephen Parsick im Foyer des Planetarium Bochum

Der Musiker Stephen Parsick im Planetarium Bochum

Viele Menschen glauben immer noch, dass Musiker das Leben eines Bohémiens
führen. Wie sieht Dein Arbeitsalltag als Künstlers wirklich aus?

Ich kann von meiner Musik nicht leben, und jede neue Produktion lebt vom
Erfolg der vorhergehenden; wenn ein Album sich schlecht verkauft und die
Produktionskosten nicht wieder einspielt, steht es schlecht um die
Veröffentlichung des nächsten Albums. Im Idealfall trägt die Musik sich
selbst — oder es geht halt gar nichts. Ich arbeite daher hauptberuflich
als Fremdsprachendozent bei diversen Bildungsträgern in Ostwestfalen und
im südlichen Niedersachsen, um die Brötchen zu verdienen und die Miete zu
bezahlen. Ich halte es hier mit Tommi Stumpff, der mal so schön sagte, daß
jemand, der nicht bereit ist, für seine Kunst zu hungern oder einen
zweiten Job anzunehmen, auch nichts zu sagen hat.
Das einzig Bohemische, das ich bis dato erlebt habe, ist, daß ich meine
Arbeitszeit etwas freier gestalten und besser meinem eigenen
Lebensrhythmus anpassen kann. Wer aber glaubt, daß Kunst ein Freibrief
ist, um auf der faulen Haut zu liegen, der irrt sich gewaltig — das gilt
allenfalls für Leute, die von einem familiären Speckpolster zehren können,
das sich andere für sie angefressen haben. Und im Gegensatz zur immer noch
weitverbreiteten Auffassung, bei elektronischer Musik müsse man nur auf
einen Knopf drücken und dann macht sie sich von alleine, muß man
diszipliniert arbeiten, um am Ende ein Resultat zu bekommen — das kommt
nicht von nichts. In erster Linie ist Kreativsein harte Arbeit und sehr
viel Disziplin; wenn Du anfängst, selbstgefällig zu werden oder das
Mittelmaß als Eichmaß für Dein Handeln akzeptierst, dann hast Du im
Prinzip schon verloren, weil dann die Motivation, sich selbst verbessern
oder entwickeln zu wollen, schon verflogen ist.

Planetarium Bochum am Abend des 13. Dezember 2008.

Planetarium Bochum am Abend des 13. Dezember 2008.

Was ist die treibende Kraft für Deine Musik? Der schöpferische Drang, die
Inspiration?

Klaus Schulze sagte mal in einem Interview, daß der Antrieb eines
Künstlers darin liege, daß er mit seiner Umwelt unzufrieden sei und er sie
durch seine Arbeit verbessern wolle. Das ist vielleicht eine gute
Umschreibung, denn diese Unzufriedenheit mit dem Status Quo, den
bestehenden Verhältnissen vor allem in der Musikwelt ist bei mir definitiv
vorhanden, nur glaube ich nicht, durch meine Arbeit irgendetwas verändern
zu können. Das ist aber keine Ausrede, um diese Arbeit nicht zu machen. Ob
sie jemals etwas bewegen wird, weiß ich nicht. Diese Frage kann ich nicht
zur Grundlage meiner Entscheidungen machen.
Es gibt keine eindeutige Quelle, was die Inspiration angeht. Inspiration
kann aus einer Klangfarbe erwachsen, die ich bei einem Instrument gefunden
habe, aus dem Zusammenwirken von mehreren musikalischen Kräften, aus
Dingen, die um mich herum geschehen, oder ganz spontan aus dem Moment und
einer Eingebung heraus. Ich will das auch nicht weiter erkunden oder
verstehen, denn die Magie des Schöpfungsaktes ist nur solange Magie,
solange man sie nicht durch zuviele Fragen entzaubert. Die treibende Kraft
ist für mich die Neugier, verstehen zu wollen, wie aus elektronischen
Instrumenten Musik geholt wird. Der schöpferische Drang ist wahrscheinlich
am ehesten als Bestreben, mich selbst immer wieder verblüffen und erfreuen
zu wollen, zu beschreiben. Aber, wie gesagt, ich versuche, das so wenig
wie möglich zu reflektieren.

Planetarium Bochum am Abend

Planetarium Bochum am Abend

An welchem Projekt arbeitest Du gerade?

Derzeit sitze ich an den Vorbereitungen zu meinem Konzert im Bochumer
Planetarium, bei dem ich Material von der jüngsten [‘ramp]-CD “return”
spielen werde sowie noch einiges an neuem Material, das erst noch geprobt
und in Form gebracht werden muß. Ferner habe ich noch ein paar Aufnahmen
hier liegen, an denen ich seit der Veröffentlichung von “return” arbeite,
damit demnächst vielleicht die neunte [‘ramp]-CD erscheinen kann.

Der PC ist ein wichtiges Werkzeug für den Künstler. Dazu kommt noch das
Internet. Diskussionsforen, Blogs und Webseiten wie musiczeit.com oder
iapetus-store.com sind für viele unentbehrlich geworden. Wie stark nutzt
Du für Deine Arbeit das Internet?

Wenig. Ich bin zwar in einigen einschlägigen Foren zu finden, in denen ich
Werbung für mich und meine Arbeit mache und auch gelegentlich dummes Zeug
schreibe, aber ich halte das Internet im Großen und Ganzen für eine
massive Zeit- und Energieverschwendung. Es gibt Leute, die tausende von
Facebook-Freunden haben, und wenn sie eine neue Platte veröffentlichen,
kauft von diesen tausenden von Freunden vielleicht eine Handvoll die CD —
da rechtfertigt der Aufwand nicht den Nutzen. Was soll der Quatsch also?
Ich mache mich daher lieber rar, als überall durch ständige Überpräsenz
und Schaumschlägerei aufzufallen — vielleicht die einzig mögliche
Strategie, gewissermaßen eine Gegenbewegung zu dem, was alle anderen
machen.
Der PC hat für mich nur die Funktion einer sehr flexiblen Tonbandmaschine,
mit der ich meine Arbeit produzieren kann. Man sollte diesen technischen
Krücken aber nicht mehr Raum geben, als sie ohnehin schon einnehmen, denn
zu schnell wird man von ihnen abhängig — und ich hasse nichts mehr, als
einer Abhängigkeit ausgeliefert zu sein. Ich wünsche mir sogar manchmal,
ich bräuchte nur eine akustische Gitarre und meine Stimme, um mich
ausdrücken zu können — ohne diesen ganzen Apparat, der immer eine
Steckdose braucht, um funktionieren zu können.

Stephen Parsick und Ina Parpart im Kuppelsaal des Planetarium Bochum

Stephen Parsick und Ina Parpart im Kuppelsaal des Planetarium Bochum

Könntest Du dir vorstellen einen eigenen Blog zu betreiben?

Wofür? Wen sollte es interessieren, was ich zu sagen habe? So ein Blog
kostet Zeit, Energie und Aufmerksamkeit, die ich lieber meiner Musik widme
— das, was ich zu sagen habe, versuche ich, durch meine musikalische
Arbeit zu sagen. Mir ist es schon manchmal zuviel, Emails zu beantworten,
weil jeder jederzeit an jedem Ort verfügbar geworden und am besten schon
alles vorgestern erledigt worden ist. Seit das Internet die Macht über
unser Denken, Fühlen und Handeln übernommen hat, glaubt jeder, sein Senf
sei wichtig und müsse unbedingt dazugegeben werden. Dabei ist das meiste
einfach nur Zeitverschwendung und hätte genausogut nicht gesagt oder
geschrieben werden können — wie womöglich auch dieses Interview hier.

Wie ist Deine Meinung zu den “sozialen Netzwerken”, wie Facebook, Twitter,
StudiVZ, Xing, und dergleichen?

Ich lehne sie von Grund auf ab und gönne mir den Luxus, asozial zu sein.
Für mich hat diese Bindung von Energien und Aufmerksamkeit schon fast
etwas Faschistoides an sich. Da wird Menschen systematisch Energie und
Lebenszeit abgezapft und ihr Denken, Fühlen und Handeln an ein völlig aus
der Kontrolle geratenes System gebunden — und alle machen begeistert mit
und lassen sich freiwillig all die sozialen Zwänge aufbürden, die diese
Netzwerke mit sich bringen! Da wird dann das Leben in einer Parallelwelt
gelebt, die nur aus virtuellen Freunden besteht, aber in der wirklichen
Welt geht man sich dann aus dem Weg und hat einander nichts mehr zu sagen
— aber davon eine ganze Menge!

Wir leben in einer sich immer schneller verändernden Welt. Wie gehst Du
mit diesen Veränderungen um?

Ich versuche, mich bewußt zu entschleunigen, indem ich mich solchen
Netzwerken und Vereinnahmungen soweit es geht entziehe. In meinem Leben
haben Apps, Smartphones, Handies, Internetflatrates, soziale Netzwerke,
Computerspiele oder das neueste Wii keinen Platz. Ich vermeide es auch,
meine Zeit den Medien zu widmen. Das mag ein wenig weltfremd scheinen,
aber ich denke, in der Welt geschieht nichts, was für mich wichtig wäre:
Die Welt geht auch unter, ohne daß ich es mir live bei RTL ansehe. Wieso
soll ich also meine Zeit mit Problemen verschwenden, die ich nicht zu
verantworten habe und für die ich keine Lösung kenne? Die Konsequenzen,
die aus dem Handeln anderer für mich erwachsen, muß ich noch früh genug
tragen, das reicht mir voll und ganz. Ich fokussiere mich stattdessen auf
meine kreative Arbeit, weil ich damit keinen Schaden für die Welt
anrichte. Das Arbeiten mit der Art von Instrumenten, die ich verwende, ist
ebenfalls etwas, das enorm entschleunigt, denn jede Note, jeder Klang muß
einzeln erschaffen werden, ohne daß ein hypermodernes Computersystem
tausend und einen Trick auf einmal für mich erledigen könnte.

Foyer des Planetarium Bochum

Foyer des Planetarium Bochum

Wenn Du einen Plan für die nächsten, sagen wir, vier Jahre hättest, wie
würde der in etwa aussehen?

Überleben. Und vielleicht noch ein paar Platten machen, wenn ich darf.

Was würdest Du jungen Menschen raten, die gerade ihr Abitur/Hochschulreife
erlangt haben und die vor der Entscheidung stehen ob Sie ein Studium
beginnen oder in das Berufsleben einsteigen sollen?

Jeder muß seinen Weg für sich selbst finden und aus seinen eigenen
Fehlentscheidungen und Irrtümern lernen — dazu gehört auch, sie als
solche zu erkennen und sie in Zukunft zu vermeiden. Von daher würde ich
niemandem einen Ratschlag geben, denn Ratschläge sind auch Schläge. Ich
glaube nur nicht, daß die Welt nochmal hunderttausend angepaßte
BWL-Studenten braucht. Wir brauchen mehr Menschen, die Zeit ihres Lebens
die bestehenden Verhältnisse infragestellen und vielleicht auch Impulse
geben können, um sie zu verändern. Bevor man also auf ein Studium
zurückgreift, bloß, weil man keine Perspektive findet oder nicht weiß, was
man mit sich selbst anfangen soll, sollte man sich überlegen, was man
immer schon machen wollte — und dann versuchen, einen Weg zu finden, mit
dem man dieses Ziel erreichen kann. Das kann ein Studium sein, eine
künstlerische, handwerkliche oder kaufmännische Ausbildung — ein
allgemein gültiges Patentrezept gibt´s da nicht. Das Einzige, das man
immer einkalkulieren sollte, ist die Möglichkeit des eigenen Scheiterns —
was wir am Ende sowieso alle tun, was hat man also zu befürchten?
Scheitern gehört dazu, denn wie sonst würdest Du einen Erfolg bemerken
wollen?

Diskografie von Stephen Parsick

Diskografie von Stephen Parsick

Gibt es einen Traum, den Du dir erfüllen möchtest?

Ich versuche, mich und mein Handeln so wenig wie nur irgend möglich von
Träumen und Wünschen bestimmen zu lassen, denn die meisten Träume sind und
bleiben nur das — Träume, die unerreichbar bleiben. Aus der Unfähigkeit,
dieses idealisierte Ziel zu erreichen oder zu erkennen, daß diese Träume
meist aus gutem Grunde unerreichbar bleiben, erwächst für einen selbst
sehr viel Kummer und Frustration. Wenn überhaupt, dann möchte ich
weiterhin kreativ bleiben dürfen und vielleicht noch das eine oder andere
Instrument auf die Musik, die darin schläft, ausloten können..

Zum Abschluss möchte ich Dir eine ganz persönliche Frage stellen: was hast
Du vom Leben gelernt?

Es ist zu kurz, um es mit Kompromissen zu vergeuden. Es ist zu kurz, um es
mit Menschen zu vergeuden, die mir nur dumm im Weg rumstehen, meine Arbeit
als Vehikel für ihre eigene Eitelkeit benutzen wollen oder mich davon
abhalten, den Weg, den ich mir ausgesucht habe, mit aller Konsequenz zu
beschreiten. Das Leben endet Minute um Minute, und man sollte diese
Minuten nicht leichtfertig mit Dingen, die schlußendlich ohne Bedeutung
sind, verschwenden. Dazu gehört natürlich auch die Erkenntnis, was für
einen selbst wirklich von Bedeutung ist und was nicht.
Wenn sich das Leben völlig unerwartet dergestalt verändert, daß man das,
was einem eigentlich wichtig ist, nicht mehr machen kann, hilft einem das
ganze Gejammere um die Zeit, wo man es noch hätte tun können, nichts. Wenn
Du es jetzt nicht machst, wirst Du es wahrscheinlich niemals mehr machen
können.